Masterarbeitvon Maria Vogel
Expansives Lernen im Regionalentwicklungsprozess „Unsere Wiesen, unser Wert“ ein beispielhaftes Regionalentwicklungsprojekt im Naturpark Jauerling-Wachau
Für die Ausrichtung von Regionalentwicklungsprojekten ist ein systemischer Blick hilfreich, um konstruktiv mit vorhandenen Unterschieden zu arbeiten, und Reflexions- sowie Lernprozesse anzustoßen (Kullmann, 2021, S. 222). Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit sozialen Lernprozessen und der gesellschaftlichen Entwicklung, also dem „Expansiven Lernen“ im Regionalentwicklungsprozess (Engeström, 2008, S. 65-66). Durch die Ergründung von Tätigkeitssystemen regionaler Akteur*innen entlang der Lebensmittelkette werden deren Einstellungen und innere Widersprüche sichtbar. In der Regionalentwicklung in Naturschutzgebieten stehen sich häufig Argumente aus Ökologie und Ökonomie gegenüber (Chilla, Kühne, & Neufeld, 2016, S. 63). So auch im LEADER Projekt „Unsere Wiesen, unser Wert“ des Naturparks Jauerling-Wachau, welches als Fallbeispiel dient. Naturparken kommt im Spannungsfeld zwischen Ökologie und Ökonomie eine vermittelnde Rolle zu, die durch Projekte in den Säulen Naturschutz, Erholung, Bildung und Regionalentwicklung zum Tragen kommt. Speziell im letzteren Bereich ist eine systemische Durchleuchtung beteiligter Akteur*innen hilfreich, um Überblick zu gewinnen und die „Baustellen“ für zukünftige Projekte aufzuzeigen.
Ziele und Methoden
Um die regionale Landwirtschaft zu unterstützen und die Region auf dem Weg einer ökologisch, ökonomisch und sozial nachhaltigen Entwicklung zu begleiten, brauchen Naturparke einen Überblick zu einer Reihe an Regionalentwicklungs-Themen, eine systemische Betrachtung der Ausgangssituation und die Formulierung von Ableitungen für die Praxis. Mithilfe der Cultural Historical Activity Theory (CHAT) nach Engeström (2008, S. 61) als Forschungsrahmen werden in der vorliegenden Arbeit Forschungsfragen in diesen drei wesentlichen Teilbereichen ergründet. Das verbindende Element bilden hierbei regional erzeugte Lebensmittel. Die Direktvermarktung bietet landwirtschaftlichen Betrieben die Chance, angemessene Preise für ihre Produkte zu erzielen und regionale Kreisläufe aufzubauen. Naturparke streben mit der Initiative „Naturpark-Spezialitäten“ die Unterstützung von Landwirt*innen im Naturparkgebiet an, indem sie Qualitätskriterien vorgeben und Betriebe hervorheben, die mit ihrer Arbeit einen Beitrag zur biologischen Vielfalt der Kulturlandschaft schaffen.
Mithilfe von Leitfadeninterviews wurden 15 Personen aus den Akteursgruppen Landwirtschaft, Gastronomie, Nahversorgung, Konsument*innen und der Naturpark-Leitung befragt. Die Datenanalyse angelehnt an Rädiker & Kuckartz (2019, S. 43-52 ), erfolgte unter Verwendung eines Kategoriensystems auf Basis der CHAT nach Engeström (2008, S. 61). Durch die Zusammenführung von Erkenntnissen aus der Literatur und der qualitativen Erhebung wurden Ergebnisse abgeleitet und Handlungsempfehlungen formuliert, die Regionalentwickler*innen in Naturparken als Wegweiser für die weitere Projektentwicklung dienen sollen.
Ergebnisse
In den Ergebnissen wird eine Reihe an Zusammenhängen genannt, deren Verständnis für Regionalentwickler*innen in niederösterreichischen Naturparken essenziell scheint. Hier zeigt sich das Potenzial für speziell auf die Regionalentwicklung in Naturparken abgestimmte Aus- und Weiterbildungsformate. Bei der Betrachtung der systemischen Einflüsse auf Konsumentscheidungen im Lebensmittelbereich kristallisiert sich heraus, dass neben zugänglicher Sachinformation und praktischer Umsetzungsmöglichkeiten auch Werthaltungen, Einstellungen, gesellschaftliche Regeln und emotionale Beziehungen innerhalb der Gemeinschaft starken Einfluss auf Kaufentscheidungen im Lebensmittelbereich nehmen. Vor allem für die Vermittlung des Werts von Biodiversität erscheint es essenziell, neben der Information auch eine emotionale Vermittlungsebene und positive Assoziationen zu Biodiversität aufzubauen (Haines-Young & Potschin-Young, 2010, S. 7).
Bei den befragten Akteur*innen zeigt sich, dass die Präferenz regionaler Produkte eher gegeben ist, wenn der wahrgenommene Zusatznutzen dem Aufwand gegenüber gewinnbringend erscheint. Um diese Zusatznutzen sichtbar zu machen, braucht es eine Auseinandersetzung mit der Wertschöpfungskette von Lebensmitteln und mit dem eigenen Konsumverhalten. Das Sichtbarmachen von Zusatznutzen kann das wahrgenommene Preis Leistungs-Verhältnis und damit Konsumentscheidungen beeinflussen.
Es erscheint wesentlich, Anknüpfungspunkte an die Werteorientierung von Konsument*innen zu finden und diese zu thematisieren. So besteht die Möglichkeit, beispielsweise den Mehrwert von „Gesundheit“ so auszuarbeiten, dass sich der wahrgenommene Wert des Produkts erhöht. Weiters hat sich gezeigt, dass die befragten Akteur*innen eine massive Entkoppelung von landwirtschaftlichen Produkten zu ihren Herstellungsprozessen wahrnehmen. Einen Ansatz, diese Verbindung wieder herzustellen, bietet die Frage danach, wen und was man durch tägliche getroffene Konsumentscheidungen unterstützt. Durch die Reflexion der Handlungspraxis und dem Vergleich mit den eigenen, individuellen Werten, Einstellungen und Interessen können bewusste Konsumentscheidungen angeregt werden. Eine Basis für bewusste Konsumentscheidungen und mehr Nachhaltigkeit in der Wertschöpfungskette von Lebensmitteln bildet transparente Lebensmittelkennzeichnung (Reinermann, et al., 2023, S. 137). Hier bieten Gütesiegel wie die Auszeichnung „Naturpark Spezialität“ eine Möglichkeit, Leistungen zu kommunizieren, die über gesetzliche Mindestanforderungen hinausgehen.
Betreffend Lebensmittelkennzeichnung und regionalen Auszeichnungen wird an mehreren Stellen der Wunsch deutlich, dass die Hauptzutaten aus der unmittelbaren Region kommen sollten. An dieser Stelle ist laut Alvesleben (2001, S. 3) vor Konsument*innentäuschung zu warnen. Das gilt vor allem bei verarbeiteten Produkten. Beispielsweise entsteht für Konsument*innen durch Halo-Effekte in Hofläden die Annahme, dass nicht nur die Produktion durch regionales Handwerk erfolgt, sondern auch die Zutaten aus der Region stammen. Hier zeigt sich Bedarf an klarer Lebensmittelkennzeichnung und verbesserter Kommunikation, um Transparenz für die Verbraucher*innen zu gewährleisten.
Mit der Auszeichnung „Österreichische Naturpark-Spezialität – Naturpark Jauerling Wachau“ möchten Landwirt*innen für Produkte stehen, deren Grundzutaten aus der Region stammen und diese selbst hergestellt und direkt vermarktet werden. Bezüglich landwirtschaftlicher Leistungen gehen die Meinungen auseinander. Während aus der Sicht eines Landwirts, die Auszeichnung rein für die bestätigte Regionalität stehen sollte, erwarten sich andere zusätzliche Leistungen wie den Verzicht auf Pflanzenschutzmittel, Herbizide und Pestizide und Einschränkungen in der Düngung, den Verzicht auf künstliche Zusatzstoffe oder sichtbare Leistungen zur Förderung der Biodiversität.
Zu letzterem Aspekt wurde von einem Landwirt ein Vorschlag eingebracht, der es Landwirt*innen ermöglichen soll, Teilbereiche der Naturpark-Website partizipativ mitzugestalten und so die Leistungen für die Biodiversität für Konsument*innen sichtbar zu machen.
Konsument*innen werden in der Erhebung die meisten Lernfelder zugewiesen. Einige davon können durch den Naturpark durch verstärkte Öffentlichkeitsarbeit bedient werden, indem kommuniziert wird, was Naturparke sind und wofür die Auszeichnung Naturpark-Spezialitäten steht. Außerdem besteht Bedarf an Bewusstseinsbildung über die Auswirkung von Konsumentscheidungen, den Wert von Lebensmitteln sowie Zusammenhänge von Bewirtschaftungsformen und Ökologie.
Download
Die Masterarbeit "Expansives Lernen im Regionalentwicklungsprozess „Unsere Wiesen, unser Wert“ ein beispielhaftes Regionalentwicklungsprojekt im Naturpark Jauerling-Wachau" (2024) von Maria Vogel wurde an der Hochschule für Agrar‐ und Umweltpädagogik Wien verfasst und kann hier heruntergeladen werden (PDF-Download: 2,3 MB).