Hans Hartl, Obmann der ARGE Streuobst, freut sich besonders über diesen Erfolg: „Das Prädikat „immaterielles Kulturerbe“ ist eine besondere Auszeichnung und Anerkennung für alle jene Menschen, die sich seit Generationen um die Erhaltung der Streuobstbestände und der damit verbundenen Kultur in Österreich bemühen.“
Laut UNESCO-Kommission stiftet der Streuobstanbau in Österreich „sozialen Zusammenhalt, strukturiert den Alltag und ist ein Wiedererkennungsmerkmal für die betroffenen Regionen. Die sowohl innerfamiliäre als auch im Rahmen des öffentlichen Lebens und in Vereinen erfolgende Weitergabe ist ein wichtiges Erfolgskriterium für die Erhaltung.“
Die Urkundenverleihung durch die UNESCO-Kommission wird im Laufe des Jahres 2024 erfolgen.
Breite Unterstützung des Antrages der ARGE Streuobst
Josef Breinesberger aus dem Mostviertel hat die Beantragung koordiniert: „Das Ansuchen der ARGE Streuobst wurde von vielen Menschen mitgetragen. 3.570 Einzelpersonen und 151 Organisationen mit insgesamt mehr als 1,4 Mio. Mitgliedern gaben Unterstützungserklärungen ab.“ Leopold Reikerstorfer, Obmann-Stv. der ARGE Streuobst bedankt sich bei den vielen Unterstützerinnen und Unterstützern, „diese große Befürwortung zeigt, dass der Streuobstanbau sowie die Bräuche und das Wissen dahinter ein Anliegen breiter Gesellschaftskreise in Österreich sind.“ Die ARGE Streuobst wird ihre Bemühungen weiter fortsetzen und steht als Ansprechpartnerin für alle jene zur Verfügung, denen die Erhaltung des Kulturerbes ein Anliegen ist. Der Verein vernetzt Streuobstinitiativen und Akteur*innen und vertritt gemeinsame Anliegen nach außen.
Die Streuobstbäume als materielle Basis des Kulturerbes – anhaltender Rückgang
Der Streuobstexperte Christian Holler, der an der fachlichen Ausarbeitung des Antrages mitgewirkt hat, erläutert: „Der Streuobstanbau mit seinen extensiv bewirtschafteten freistehenden großkronigen Obstbäumen entstand vor allem ab dem 17. Jahrhundert. Streuobstwiesen sind aus einer landwirtschaftlich-kulturellen Entwicklung hervorgegangen und direkt an menschliches Wissen gebunden. Die Streuobstbäume und die Obstsortenvielfalt sind die maßgebliche materielle Basis des immateriellen Kulturerbes.“
Seit Mitte des 20. Jahrhunderts gehen die Streuobstbestände europaweit kontinuierlich zurück, hauptsächlich auf Grund der Rationalisierung und Spezialisierung in der Landwirtschaft. Waren in Österreich um 1930 noch ca. 35 Mio. Streuobstbäume vorhanden, so sind es heute nur mehr rund 4,2 Mio. Bäume. Der Rückgang hat sich seit den 2000er Jahren zwar verlangsamt, hält aber weiterhin an. Ursache sind mangelnde Wertschätzung verbunden mit hohem Arbeitsaufwand und geringer wirtschaftlicher Rentabilität, sowie schwindendes Wissen und fehlende Fertigkeiten. Eine Folge davon ist der schlechte Erhaltungszustand vieler Streuobstbestände.
Rainer Silber, Obmann-Stv. der ARGE Streuobst, ergänzt: „Mit dem Rückgang der Streuobstwiesen schwindet nicht nur eine traditionelle Kulturlandschaft für den Menschen, sondern auch ein ökologisch wertvoller Lebensraum für zahlreiche seltene Tier- und Pflanzenarten. Mit der Anerkennung als immaterielles Kulturerbe hoffen wir, die vielfältige Bedeutung des Streuobstanbaus einer noch breiteren Öffentlichkeit bewusst zu machen.“
Die Kernelemente des immateriellen Kulturerbes „Streuobstanbau in Österreich“
Bis heute wird der Streuobstanbau durch das Engagement von Obstbaumbesitzer*innen, Mostereien, Direktvermarkter*innen, Initiativen, Vereinen und Verbänden in ganz Österreich am Leben gehalten und weiter tradiert. Im Kern der Ausübung stehen an erster Stelle die arbeits- und zeitintensive Pflege und Bewirtschaftung der Obstbäume und der Unterkulturen sowie die Obsternte, -lagerung und -verarbeitung. Traditionelle Handwerkstechniken und Gerätschaften zum Baumschnitt, zur Veredelung oder Verarbeitung sind dabei fester Bestandteil der Praxis. Weitere Ausdrucksformen des immateriellen Kulturerbes sind verschiedene Bräuche und Rituale wie beispielsweise die Neupflanzung von Bäumen bei Geburten oder die Ernennung von Mostköniginnen und -prinzessinnen als auch zahlreiche öffentliche Feste wie Mosttaufen, Obstblütenfeste, Tag der Streuobstwiese oder Tag des Mostes und Mostkosten.
Das Wissen, welches im Rahmen der Kulturform über Jahrhunderte entwickelt, bewahrt und weitergegeben wurde, ist so vielfältig wie die Streuobstbestände selbst: Neben dem landwirtschaftlichen Erfahrungswissen um Bewirtschaftungspraktiken und die dazugehörigen Handwerkstechniken, ist auch das Wissen über tausende Obstsorten und deren richtige Standorte und Nutzung, für den Erhalt der Kulturform unabdingbar. Dieses Wissen wird von zahlreichen Akteur*innen, wie Landwirt*innen, Naturschützer*innen, sortenkundigen Pomolog*innen und Obstbaufachleuten bewahrt und auf Tagungen, Lehrgängen, sowie durch Praxiskurse weitergegeben. Auch durch interaktive Ausstellungen, in Freilichtmuseen, Streuobstpfade und Online-Portale sind Informationen öffentlich zugänglich. Durch verschiedene Umweltbildungsprogramme werden bereits Kinder und Jugendliche in die Kulturform eingebunden und das damit verbundene Wissen kreativ an künftige Generationen vermittelt.
Der Streuobstanbau und die Streuobstbestände selbst sind ein Stück regionaler Identität. Am landschaftsprägenden Charakter der Obstbäume erfreuen sich viele Menschen. Viele typische Streuobstgetränke, wie Most, Cider oder Fruchtsäfte, haben überregional Kultstatus. Nicht zuletzt ist dieser Bedeutungsgewinn auch dem hohen ökologischen Wert der extensiv bewirtschafteten Streuobstbestände sowie dem Trend zu nachhaltigen Lebensmitteln zuzuschreiben.