Naturschutz-Symposium
Wirkungen und unerwünschte Nebenwirkungen - Natur in Menschenhand?
Die Themen der Naturschutz-Ausstellung „Natur in Menschenhand?“ im Naturkundemuseum/Joanneum Graz (zu sehen bis 7.1.2018) aufzugreifen und zu vertiefen, bot am 9. Oktober 2017 ein von NATURPARKE STEIERMARK in Zusammenarbeit mit zahlreichen dem Naturschutz verbundenen Kooperationspartnern konzipiertes Symposium. Weit mehr als 100 Besucher erlebten in dem unter ebener Erde, aber doch hellen Foyer des Joanneum eine in mehrfacher Hinsicht außergewöhnliche Veranstaltung.
Drei höchst aktuelle, den Naturschutz auch über den Tag hinaus betreffende Fragestellungen wurden kontroversiell beleuchtet, wobei jeweils ausgewiesene ExpertInnen gleichermaßen sachlich wie leidenschaftlich für ihre Sichtweise warben. Somit war die durchwegs engagierte Schar der Teilnehmenden dazu eingeladen, die mitgebrachten Meinungen zu überdenken, nicht unbedingt Sympathie, aber doch Verständnis für die bislang eher vernachlässigte Perspektive zu gewinnen und Flexibilität und Beweglichkeit bis hin zur Neupositionierung in Hinblick auf die eigene Welt-Wahrnehmung zu an den Tag zu legen.
Moderiert von einem fachkompetenten und erfahrenen Duo (Wolfgang Suske / Wolfgang Pfefferkorn), dem es, musikalisch improvisierend begleitet von Bertl Mütter (Posaune) und Melissa Coleman (Cello), immer wieder gelang, spontan aufkeimende Diskussionen behutsam in den Fluss des Gesamtkonzepts zu integrieren, hatten namhafte Fachleute Gelegenheit, in drei Durchgängen für ihr fachlich begründetes Herzensanliegen zu werben.
Drei Mal Pro und Contra
In der ersten Runde „Wildnis oder Kultur?“ erläuterte zunächst Bernhard Kohler, Programmleiter beim WWF in Ostösterreich, die Bedeutung und Verbreitung von Wildnis-Gebieten, verfocht mit guten Argumenten die These, dass eben diese im Sinne der Artenvielfalt von größter Bedeutung und auch unmittelbar für uns Menschen als Orte der Stille, der Achtsamkeit oder auch als CO2-Speicher höchst bedeutsam wären. Gegenwärtig sind 1,2 % der Fläche Österreichs als Wildnisgebiete ausgezeichnet, das im weltweiten Mittel angestrebte Ziel von 2,2 % sei realistisch, in Europa an die 5 % anzustreben, um langfristig eine nachhaltige Entwicklung zu gewährleisten, argumentierte Kohler.
Vehement und freundlich zugleich hielt Karl Bachgruber dagegen. Der Leiter des Instituts für Pflanzenbau und Kulturlandschaft der HBFLA Raumberg Gumpenstein warb für die vom Menschen gepflegte Landschaft und skizzierte die dafür notwendigen Rahmenbedingungen: Es gelte vor allem die Bauernschaft für ihre Leistungen angemessen zu entlohnen, um so der Ausbreitung von Ödland und versiegelten Flächen entgegenzuwirken. Zu erreichen sei dies freilich nur, wenn wir Konsumenten bereit wären, für gesunde und heimisch produzierte Lebensmittel deutlich mehr auf den Tisch zu legen. Anstelle der gegenwärtig 10%, die im Durchschnitt für Nahrung ausgegeben werden, wären an die 20% erforderlich. Unter Berücksichtigung aller Begleiterscheinungen eine mehr als lohnende Investition. Allianzen zwischen Naturschutz, Landwirtschaft und Tourismus könnten mit dazu beitragen, die Vielfalt der Kulturlandschaft zu gewährleisten.
„Wissen versus Emotion“
Im nächsten Durchgang stand zur Debatte, ob denn faktenbasiertes Wissen oder Emotionen für einen von Empathie geprägten Zugang zur Natur vorrangig von Bedeutung wären. Für erstere Position plädierte der Vegetationsökologe Georg Schramayer. Die Ansammlung von Fakten, so betonte der auch in der Erwachsenenbildung tätige Botaniker, habe mit Wissen nichts gemein. Dieses gründe nämlich auf persönlicher Erfahrung und sei nur dann anwendbar, wenn es mit einer Idee als sinnstiftendem Zusammenhang verknüpft werde. Um Wissen lebendig zu erhalten, sei Kommunikation, die lebendige Weitergabe von Traditionen unabdingbar, betonte Schramayer und erläuterte dies anhand von alten kaum noch verfügbaren Erfahrungen im Umgang mit Pflanzen. Schramayer plädierte dafür, Wissen unentgeltlich zu verbreiten und allgemein verfügbar zu machen; angemessen sei es hingegen, die Art der Vermittlung, die Performance, in Rechnung zu stellen, meinte er.
Nicht als Widerpart, sondern als kontrastierende Ergänzung verstand ich Andreas Weber, der ruhig und souverän argumentierend, sich als Anwalt eines emotionalen Naturzugangs präsentierte. Fühlen, so der in Berlin und Italien lebende Philosoph, sei keineswegs Nebensächlichkeit oder Luxus, sondern „Wissen, wie das Selbst in Bezogenheit blüht“, sei „Wissen aus der Perspektive der Teilnahme“ oder auch „Teilnahme von innen“. Wir stünden mit Natur und Wildnis, mit allem Lebendigen in dauerhaftem Austausch, das Atmen, die Aufnahme von Nahrung, alles Tun sei Berührung, die darauf abzielt zu blühen, sich verändernd weiter zu entwickeln. Andreas Webers Ausführungen, so scheint mir, greifen auf wesentlich Gedanken J. W. v. Goethes, vor allem auch von Novalis auf und führen diese weiter. Bereichert wurde, wer bereit war, sich darauf einzulassen.
Neophyten: Allesvernichter oder Widerstandskämpfer?
Als überzeugte, mit guten Argumenten gewappnete und in der Sache unerbittliche Kämpferin präsentierte sich im abschießenden Durchgang Regina Ostermann. Im Baden-Württembergischen Ortenaukreis für Aufgaben des Landschaftsschutzes verantwortlich, tritt sie, unterstützt von zahlreichen MitstreiterInnen, der weiteren Verbreitung der aus Japan eingewanderten Neophyten entgegen und wirft sich dabei heldenhaft in eine kaum zu gewinnende Schlacht. Die Spezies sei von explosiver Gewalt, ausschließlich darauf aus, Naturlandschaft zu unterwerfen. Zwar habe auch der Mensch, gewissermaßen ein Super-Neophyt, Natur weitgehend nach seinem Willen geformt; dieser Prozess sei aber nun von einem gravierenden Störfall betroffen. Notwendig sei es daher, die Reset-Taste zu drücken und, wo immer möglich, die Vielfalt der Gattungen durch ein entschlossenes Einschreiten gegen die Neophytenplage zu gewährleisten.
Diametral entgegengesetzt argumentierte Fred Pearce. Ausgestattet mit jener Art von Humor, die es dem britischen Journalisten und vieldiskutierten Sachbuchautor leicht macht, auch direkt vorgetragene Attacken souverän zu parieren, brach er eine Lanze für all jene Geschöpfe, die sich dem planenden Willen der menschlichen Existenz mit List und Tücke entgegenstellen. Fred Pearce schwärmt gewissermaßen nicht nur von Neophyten, sondern auch Ratten, Katzen und Mikroben, die, indem sie Lebensräume rückerobern, Pioniere einer in ferner Zukunft vom Menschen befreiten Natur sind. Gut möglich, dass diese Sichtweise befremdet und Unbehagen auslöst, denn letztlich fordert sie uns ab, eine Welt ohne Menschen zu imaginieren. Beiden Sichtweisen, die – anders als die vorangegangenen Dispute – keine gemeinsame Schnittmenge aufwiesen und so unversöhnlich nebeneinander standen, können für sich in Anspruch nehmen, plausibel und letztlich auch sinnvoll zu sein, sofern man bereit ist, der Evolution einen Sinn auch jenseits menschlicher Existenz zuzubilligen.
Dass die BesucherInnen im Verlauf des Nachmittags Gelegenheit hatten, die vorgetragenen Thesen in kleineren Gruppen vertiefend zu diskutieren und dass mit dem Niederländer Geert Gratama ein Zeichner gewonnen werden konnte, der mit sicherem Strich die im Verlauf des Tages ausgebreiteten Themen und Sichtweisen zusammenzufassen und weiterzudenken vermochte, unterstreicht dass diese Veranstaltung in vielfacher Hinsicht eine außergewöhnliche war, die es verdient in Erinnerung zu bleiben und, wenn möglich, mit neuen Themen und Akteuren variiert und fortgeführt zu werden.
Walter Spielmann
Walter Spielmann hat die von Robert Jungk gegründete „Internationale Bibliothek für Zukunftsfragen“ in Salzburg ab 1985 mit aufgebaut und bis Juni 2016 als Geschäftsführer geleitet.
- Weitere Informationen unter www.jungk-bibliothek.org
- Unterlagen zur Veranstaltung sind unter dem Link https://www.naturschutzakademie.com/unterlagen.php zu erreichen.
Seminar-ID: 1115
Passwort: Joanneum
PDF-Download:
- Einladung und Programmübersicht (PDF-Download: 1,4 MB)
- Weiterführende Informationen zur Ausstellung „Natur in Menschenhand?“ finden Sie auf der Projektseite.